Flashback

 

Obwohl heute ein warmer Tag war und ich mit meinem Lieblingsshirt durch den nahegelegenen Ahnepark, ein kleiner Stadtpark in Vellmar, schlenderte, fröstelte es mich und mir war kalt. Der Park war ungewöhnlich leer für den sonnigen Tag heute, was mich sehr wunderte. Denn normalerweise tobte hier das Leben. Kinder spielten auf dem Spielplatz, schaukelten, rutschten oder sprangen jauchzend auf dem Trampolin, während die Eltern auf den Bänken saßen und sich unterhielten. Aber heute? Heute waren nur wenige Kinder da, die Enten schwammen friedlich auf den verschiedenen Seen, die sich im Park befanden und die Sonne verschwand hin und wieder zwischen ein paar Schleierwolken. Ich schlich zu der Hütte, die an einem der Seen lag, etwas abseits von den Wegen und setzte mich ins Grün hinter der Hütte. Ein Fischreiher hatte sich auf die andere Seite des Ufers ins Schilf gesetzt und starrte auf das Wasser. Vermutlich wartete er auf einen Mittagssnack. Und ich? Ich wartete auf meine nächste Therapiesitzung, vor der ich heute doch sehr nervös war. Ich schloss meine Augen und plötzlich lief es wie ein Film vor mir ab.

 

***

 

Es geschah vor achtzehn Monaten, an einem Dienstag im November. Es überrollte mich, wie das Grollen eines Donners, welcher über das Land fegte. An diesem Dienstag hatte ich an der Arbeit eine Teambesprechung, was nichts Außergewöhnliches war. Einmal im Monat kamen meine Kolleginnen und ich mit unserer Chefin in den frühen Stunden an einem Tisch zusammen, um Probleme, Änderungen oder Beschwerden zu besprechen. Doch dieses Mal, hatten wir als Team nur einen Wunsch – wir brauchten dringend mehr Kolleginnen. Damals hatten mehr als die Hälfte der Kolleginnen gekündigt und das Rad drehte sich immer noch so weiter, wie es sich immer gedreht hatte. Zwar gab es nicht mehr so viele Zahnräder, die ineinandergriffen, um das Uhrwerk am Laufen zu halten, aber die wenigen liefen. Sie funktionierten von Tag zu Tag langsamer. Einige Zacken brachen heraus, stolperten und fingen an, langsam zusammenzubrechen. Gemeinsam wollten wir unserer Chefin klar machen, dass wir mehr Personal brauchten. Es war schwer geworden, in unserer Branche gutes Personal zu finden, das wussten wir, aber so konnte es auch nicht weitergehen. Frau Dr. Wülmersen, unsere Zahnärztin, setzte sich zu uns in den Personalraum an den Tisch, legte ihre Papiere ab, zückte den Kuli und schaute uns fragend an.

   »Guten Morgen. Dann legen wir mal los. Was habt ihr für Themen?« Sie schien gar nicht zu spüren, dass die Stimmung seit Wochen auf einem Gefrierpunkt war. Wollte oder konnte sie es nicht spüren?

    »Nun, wir haben als Team eigentlich nur ein Thema, worüber wir gerne sprechen würden«, erwiderte Karin ruhig, aber bestimmend. Dabei klappte sie das Buch, welches wir für unsere Besprechungen führten, zu. Zwar standen dort noch andere Themen drinnen, die besprochen werden mussten, aber wir waren uns alle einig gewesen, dass dies Punkte waren, die derzeit nicht so relevant waren. Karin war eine Kollegin, die bereits zum Inventar gehörte und für uns als Sprachrohr zur Chefin diente. Zudem war sie ihre rechte Hand. Sie war sehr groß, etwas kräftiger gebaut und trug ihre dunkelblonden Haare kurz.

  »Das klingt aber ernst. Worum geht es?« Unsere Chefin schien plötzlich zu merken, dass es etwas gab, was geändert werden sollte. Jedoch schien sie sich angegriffen zu fühlen, zumindest entnahm ich dieses Gefühl. Sie beugte sich vor, legte ihre Unterarme auf den Tisch, bewaffnete sich mit ihrem Kuli, den sie zuvor abgelegt hatte, und blickte jeden Einzelnen von uns mit finsterer Miene an.

   »Wir haben in den letzten Monaten über zehn Mitarbeiter verloren und wir können das Rad langsam nicht mehr so weiterdrehen. Wir schieben seit Monaten Überstunden ohne Ende. Die Prophylaxe läuft über und die Patienten beschweren sich über die langen Wartezeiten. Wir schleppen uns krank an die Arbeit, was kein gutes Bild nach außen wirft. Wir verlieren unser Lachen! Schuften wie die Blöden! Verlieren die Freude an unserem Beruf und versuchen irgendwie zu funktionieren. Manche haben bereits die Klinke in der Hand. Teilweise sind die Kündigungen schon geschrieben und alles, was uns hier noch hält, ist die Hoffnung, dass Sie endlich mal neues Personal einstellen und es so wird wie früher. Sie haben uns hier immer ein zweites zu Hause geschenkt. Wir sind hier wie eine Familie und all das zerbricht. Wir brauchen dringend neue Kolleginnen, das kann so nicht weitergehen.« Karin sprach sich richtig in Rage, während wir anderen unsere Chefin nickend anschauten. Ich sah, wie sie versuchte, ihren Puls zu beruhigen, der scheinbar in die Höhe zu schießen schien. Ihre Ohren erröteten. Dies passierte immer, wenn sie sich aufregte. Ihr Griff festigte sich um den Kuli, sodass ihre Knöchel weiß wurden. Ich wartete darauf, dass sie explodierte, aber sie atmete mehrmals tief ein und aus und schwieg. Ihr Schnaufen war deutlich zu hören. Meine Blicke trafen sich mit Karins und dann mit denen meiner Chefin. Zornig funkelte sie mich an, dann traf ihr grimmiger Blick jeden Einzelnen im Raum. Die Luft war zum Schneiden dick. Wärme stieg in mir auf, mein Herz raste und ich verspürte eine Nervosität. Eine Anspannung in jedem meiner Muskeln. Ein Kloß breitete sich in meinem Hals aus. Tränen suchten sich einen Weg in meine Augen. Aber ich schluckte sie hinunter. War es Wut, Enttäuschung, Traurigkeit oder die blankliegenden Nerven? Ich wusste es nicht. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte geschrien. Mir war nach frischer Luft zu Mute, als unsere Chefin plötzlich aufstand. Der Stuhl ratterte über den Boden.

   »Eure Probleme möchte ich mal haben«, sagte Dr. Wülmersen in einem sehr ruhigen Ton, obwohl sie nach außen so wirkte, als würde sie explodieren. Schließlich drehte sie sich um und ging aus dem Personalraum heraus. Wie versteinert saßen wir alle dort, tauschten schweigend unsere Blicke und Karin knallte ihren Stift auf den Tisch. Keiner wagte es ein Wort zu reden und ich verspürte die erneut aufsteigenden Tränen. Dieses Mal wusste ich es genau – es war Wut, die meinen Körper durchfuhr. Ich setzte meinen Mundschutz auf, wobei ich spürte, wie meine Hände zitterten und stand schwungvoll auf. So schwungvoll, dass mein Stuhl nach hinten krachte und auf dem Boden lag. Mit einem Ruck stellte ich ihn auf, stürmte hinaus in mein Behandlungszimmer und knallte dort die Tür hinter mir zu. Was für eine blöde Kuh! Diese Hexe! Ein Drachen und so unsensibel, rauschte es mir durch den Kopf. Mit meiner Faust schlug ich auf die Arbeitsplatte.

  »Fuck!«, fluchte ich, sodass es sicherlich auf dem Gang zu hören gewesen war. Langsam öffnete sich die Tür zu meinem Behandlungszimmer.

   »Dein Patient zur Zahnreinigung ist da«, sagte Miriam, unsere zahnmedizinische Verwaltungsassistentin leise.

   »Danke«, erwiderte ich kurz, ohne sie anzuschauen. Als ich hörte, wie die Tür wieder ins Schloss fiel, richtete ich mich auf und schaute in mein verheultes Spiegelbild. Kaltes Wasser spritzte ich mir ins Gesicht und hielt meine Unterarme unter das kalte Wasser. Es kühlte meine innerliche Hitze herunter und ich beruhigte mich.

   »Krone richten und weiter geht es«, sagte ich zu meinem Spiegelbild und versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht. Ich trocknete meine Augen, zog meinen Mundschutz an, richtete meine Schultern auf und ging ins Wartezimmer, um meinen Patienten zu holen.

   »Guten Morgen, Herr Braun, setzen Sie sich. Wie geht es Ihnen?«

  »Danke, der Nachfrage. Sehr gut. Die Zahnreinigung ist mal wieder nötig. Beschwerden habe ich keine. Zum Glück«, sagte er fröhlich und schaute mich mit einem Lächeln an. Er war ein Patient, der alle drei Monate kam und den ich bereits seit sieben Jahren betreute. Ich mochte meine Patienten sehr und gerade jene, die so oft kamen, lagen mir sehr am Herzen. Mit ihnen tauschte man auch den einen oder anderen Plausch aus, was mir in diesem Moment aber zum Verhängnis wurde.

    »Ihnen geht es aber nicht so gut heute?«, bemerkte Herr Braun, als ich mich auf meinen Stuhl setzte.

   »Ach, irgendwie scheint mich meine Allergie heute ein wenig zu ärgern«, log ich und war mir nicht sicher, gegen was ich in dieser Jahreszeit allergisch sein konnte. Ich hatte eine Allergie bei den Frühblühern, aber glücklicherweise fragte Herr Braun nicht weiter nach und ich begann mit meiner Arbeit. Der Tag zog sich wie Kaugummi und immer wieder schossen mir während der Behandlung die Tränen in die Augen, was die Patienten zum Glück nicht wirklich mitbekamen, da diese bei der Behandlung meistens die Augen geschlossen hielten. Unter meiner Maske und der Schutzbrille bemerkte ich jedoch, dass mein Blick immer wieder verschwamm, was dazu führte, dass ich öfters eine kurze Pause einlegen musste. In der Mittagspause spürte ich einen innerlichen Druck, dass ich hier raus und nie wieder herkommen wollte. Das Essen schmeckte nicht und ich setzte mich für die restliche Pause in mein Behandlungszimmer, um alleine zu sein. Entschlossen, morgen nicht mehr an die Arbeit zu kommen, rief ich in der Praxis von meinem Hausarzt an. Die sich nach mehrfachem Klingeln endlich meldete und ich freundlich begrüßt wurde.

    »Johannson, kann ich heute bitte noch zu Ihnen kommen? Ich brauche dringend eine Krankmeldung«, versuchte ich selbstsicher zu klingen. Aber erneut setzte sich ein Kloß in meinem Hals fest, der meine Stimme wackeln ließ.

  »Sind Sie krank?«, kam es von der anderen Seite der Leitung.

  »Bitte, ich kann nicht mehr«, wisperte ich in den Hörer und die Tränen nahmen ihren Lauf. Ich begann zu schluchzen und konnte nicht mehr weitersprechen.

  »Kommen Sie heute um siebzehn Uhr«, sagte die medizinische Fachangestellte und ich nickte. Ich bemerkte aber schnell, dass sie das Nicken nicht sehen konnte.

   »Danke«, schluchzte ich und legte auf. Die Pause nahm ein Ende. Ich wischte mir die Tränen weg und versuchte die letzten zwei Stunden noch herumzubekommen. Sechzehn Uhr, endlich Feierabend. Zügig ging ich mich umziehen, verabschiedete mich kurz und lief zu meinem Auto. Den Blick zu Boden gesenkt und mit Tränen in den Augen setzte ich mich ins Auto und dann passierte es. Mein Körper begann zu zittern, als würde ich mitten im Winter frieren. Ich schluchzte nicht mehr leise, sondern weinte bitterlich. Noch nie in meinem Leben hatte mich etwas so traurig gemacht, dass ich am ganzen Leib zitterte und innerlich vor Wut bebte. Es fühlte sich alles so leer an. Als sei ich seelisch kaputt. Sogar nach Luft musste ich japsen, weil ich so sehr weinte. Da gehe ich nie wieder hin. Ich will das nicht mehr und ich kann das nicht mehr, dachte ich im Stillen, legte meinen Kopf auf das Lenkrad und verschränkte meine Arme darüber. Meine Nase fühlte sich an, als wäre ich stark verschnupft und meine Augen wurden mit Tränen überflutet. Sie liefen meine Wangen herunter. Einige versiegten auf meinen Lippen, andere tropften mir am Kinn herunter auf die Hose. Zitternd suchte ich nach einem Taschentuch und schnäuzte mir die Nase. Als ich einen Blick in den Rückspiegel warf, erschrak ich vor meinem eigenen Spiegelbild. Wenn ich es auch nur verschwommen sehen konnte, so erkannte ich, dicke rote und verweinte Augen. Ich versuchte durchzuatmen und mich zu beruhigen. Mom, ich wollte meine Mom jetzt anrufen, rauschte es mir durch den Kopf. Wenn mich einer beruhigen konnte – dann sie. Schließlich saß ich immer noch im Auto und wollte zum Arzt fahren. Wimmernd hatte ich versucht, meiner Mutter am Telefon zu erklären, was los war. Doch verstehen konnte sie mich nicht. Immer wieder bekam ich Worte zu hören, wie: Stell dich nicht so an! Das sind nur Phasen! Das geht wieder vorbei! Aber ich wusste, dass es nicht einfach nur eine Phase war. Seit Monaten war es mir nicht gut gegangen, allerdings musste ich auch eingestehen, dass ich bisher mit niemanden darüber gesprochen hatte. Oder jemanden erzählt hatte, wie schlecht es mir ging und dass ich oft allein, weinend zu Hause gesessen hatte. Immer wieder hatte ich nach außen funktioniert, gelächelt und Freude vorgetäuscht. Bei Fragen, wie es auf der Arbeit lief, bin ich ausgewichen mit – Na ja, wie immer. Wie sollte jetzt also jemand meine Reaktion verstehen? Irgendwie auch nachvollziehbar, dass meine Mutter es für eine Phase hielt.

   »Ich fahr zum Arzt und melde mich«, sagte ich kurz.

  »Fahr vorsichtig!«, erwiderte sie und ich versprach ihr, mich später zu melden. Ich wusste, dass es heute nicht nur eine Phase war. Es fühlte sich anders an, als sonst. Ich merkte, dass ich innerlich leer war, mein Kopf brummte und ich spürte, dass ich nicht mehr an die Arbeit wollte. Dabei hatte ich meinen Job immer sehr geliebt. Bin zielstrebig meinen Weg gegangen. Seit siebzehn Jahren war ich nun in meinem Job und hatte vor einigen Jahren meine erste Aufstiegsfortbildung zur zahnmedizinischen Fachassistentin absolviert. Der Bereich in der Prophylaxe, war das, was ich eigentlich liebte, mein Herzblut und eine Berufung. Doch in diesem Moment brach genau das in sich zusammen, wie ein Kartenhaus und ich wollte das nicht mehr. Langsam schritt ich die Treppen zu meinem Hausarzt nach oben in den dritten Stock des Ärztehauses und klingelte. Ohne ein Wort legte ich meine Versichertenkarte ab und durfte direkt ins Behandlungszimmer durchgehen. Meine Tränen waren getrocknet, doch mein Herz pulsierte und das Warten schien in eine Unendlichkeit zu verfallen. Ich starrte auf das Foto an der gegenüberliegenden Wand und versuchte etwas zu denken, aber alles, was ich fand, war ein großes schwarzes Loch. Als ruckartig die Tür zu dem Behandlungszimmer geöffnet wurde, in dem ich saß, schrak ich zusammen und sah aus dem Augenwinkel die weiße Hose meines Hausarztes. Doch statt sich mir gegenüberzusetzen, an seinen Schreibtisch, wie er es sonst tat, trat er neben mich und legte seine Hand sanft auf meine Schulter.

   »Na, was ist los?«, hörte ich seine Worte, denn anschauen konnte ich ihn nicht. Gerade als seine letzten Worte seinen Mund verlassen hatten, kullerten mir erneut die Tränen über die Wangen. Aber dieses Mal weinte ich still. Den Kopf zu Boden gesenkt, mit hängenden Schultern und die Arme in meinem Schoß liegend. Am liebsten hätte ich die Knie eng an mich herangezogen und meinen Kopf darin vergraben. Mein Arzt sagte zunächst nichts, aber ich spürte seine Hand auf meinem Rücken, was mich etwas beruhigte.

    »Die Arbeit?«, fragte er nach einer Weile. Ich nickte und traute mich endlich meinen Kopf zu heben, um ihn anzuschauen. Er kannte mich mittlerweile seit vielen Jahren und hatte mir vor einigen Jahren schon einmal viel Mut zugesprochen, aber damals war es eine andere Sache gewesen. Einen Lungenriss, der mich, mit meinen damals achtzehn Jahren, aus der Bahn geworfen hatte. Doch dieses Mal, war es seelisch, was mich innerlich zerstörte und ich kannte keinen Ausweg.

   »Wollen Sie drüber reden?«

   »Ich will da nicht mehr hin. Ich kann nicht mehr. Es ist zu viel«, stotterte ich und bekam kaum ein Wort raus. Es wollte sich einfach nicht sortieren in meinem Kopf.

  »Frau Johannson, es ist nicht das erste Mal, dass Sie wegen der Arbeit, müde und schlapp vor mir sitzen, aber ich sehe, dass es dieses Mal sehr schlimm ist und wir etwas tun müssen. Ich werde Sie erst einmal krankschreiben, aber Sie müssen sich Gedanken darüber machen, wie es weitergehen soll. Wo die Problematik ist und was Sie ändern möchten.« Mit ernster, aber besorgter Miene schaute er mich an.

  »Ich weiß«, erwiderte ich kurz. Mir war es selbst bewusst gewesen, dass ich darüber nachdenken musste.

  »Wie lange soll ich Sie krankschreiben? Zwei, vier oder sechs Wochen?«

Verwundert über diese Frage, schaute ich meinen Hausarzt an und zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Ich wollte aber auch nicht zu lange krankgeschrieben sein. Eigentlich hatte ich ja auch einen Entschluss gefasst – ich wollte da nicht mehr hin.

   »Zwei Wochen?«, fragte ich mehr, als dass ich antwortete.

  »Zwei Wochen ist gut. Denn, Sie müssen auch bedenken – mit jedem Tag, werden die Gedanken mehr, wie es wohl sein wird, wenn Sie wieder hinmüssen. In der ersten Woche machen Sie bitte nur das, was Ihnen Freude bereitet. Gehen Sie mit Freunden aus, machen Sie Sport oder gehen Sie spazieren. In der zweiten Woche, denken Sie darüber nach, was Sie wirklich wollen und wie es weiter gehen soll.« Eindringlich schaute er mich an und ich nickte. Mein Hausarzt setzte sich an seinen Schreibtisch, mir gegenüber und tippte etwas in seinen Computer, während ich ins Leere starrte. Erst als ich das Geräusch vom Drucker hörte, kam ich wieder ins Hier und Jetzt.

  »Frau Johannson …«, begann mein Hausarzt und hielt mir die Krankmeldung hin, » … Sie haben einen beginnenden Burnout und ich vermute, dass die letzten Jahre, als Sie mit den immer wiederkehrenden Magenbeschwerden bei mir waren, bereits damit zu tun hatten. Ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie sich Hilfe holen. Denken Sie in Ruhe darüber nach und melden Sie sich dann bei mir. Das ist kein leichter Schritt und kein einfacher Weg, aber wenn Sie wieder Ihren klaren zielstrebigen Weg begehen wollen, müssen Sie aus dem Loch heraus.« Eindringlich sah mein Hausarzt mich an. Obwohl ich es bereits geahnt hatte, schockten mich die Worte – beginnender Burnout. Er ließ die Krankmeldung los, als ich danach griff und steckte sie in die Tasche. Ich nickte, stand auf und ging zur Tür.

   »Sie schaffen das!«, hörte ich seine Stimme, als ich die Tür öffnete. Ehe ich ganz raus war, drehte ich mich noch einmal um und formte ein stummes Danke auf meinen Lippen.

 

 

 ***

 

 

Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Mein Terminkalender meldete sich zu Wort und sagte mir, dass ich mich auf den Weg zur Gruppentherapie machen musste. Ich hatte auf den Rat meines Hausarztes gehört und mir professionelle Hilfe geholt. Was nicht so einfach war, denn die Plätze bei einem Psychologen waren heiß begehrt. Vier Monate nach meinem Zusammenbruch hatte ich meine erste Sitzung, die man dafür nutzte, um zu schauen, ob es mit dem Psychologen passt oder nicht. Schließlich vertraute man dem alles an und wenn die Chemie zwischenmenschlich nicht passt, kann es nicht funktionieren. Ich hatte Glück und es hatte auf Anhieb gepasst. Glücklicherweise musste ich bis zum Beginn der Therapie nicht so lange warten. Ich wurde in eine Gruppentherapie gesteckt, wo ich mir anfangs nicht sicher war, ob dies das Richtige für mich war. In der Zeit bis zum Beginn der Therapie war für mich viel passiert. Ich war mir sicher gewesen, dass ich meinen Job liebte und ich nicht aufgeben wollte. Ich hatte auch versucht, mit meiner Chefin zu reden und sogar die Karten offen auf den Tisch gelegt. Ihr offenbart, dass ich mich in die Therapie begeben hatte, aber sie schien das alles nicht hören zu wollen. Oder konnte es nicht, weil sie selbst viel um die Ohren hatte. Was letztendlich auch ein Grund dafür war, dass ich meinen Arbeitsplatz gewechselt hatte. Zu Beginn war es in der neuen Praxis auch schön gewesen, aber bereits nach wenigen Wochen, wollte ich dort wieder weg. Und nun? Seit Monaten hatte ich jede Woche meine Gruppensitzung, die mir sehr guttat und ich fühlte mich auch nicht mehr krank, müde oder schlapp, aber heute – heute war ich sehr aufgeregt.