Ein neues Abenteuer

 

Die Sonne schien aus voller Kraft an diesem Samstagnachmittag, als die Raben-Bande zufrieden ihr Eis in der Eisdiele am Rathausplatz in Vellmar schleckte. Der Himmel war blau und nur wenige Schleierwolken boten hin und wieder ein kleines bisschen Schatten. Um die Kinder herum herrschte lautes Gemurmel – andere Kinder lachten, Eltern diskutierten und viele Fahrradfahrer suchten die Eisdiele mit Straßenverkauf auf, um sich ein kühles Eis auf die Hand zu holen. Die Vögel zwitscherten fröhlich vor sich hin und die Bienen summten von Blume zu Blume. Alles schien perfekt. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, begann Rebecca, wild um sich zu schlagen.

 »Jetzt hau endlich ab, du blödes Mistvieh!«

 Rebecca von Langengut war zwölf Jahre alt und trug ihre langen, dunkelblonden Haare heute zu einem französischen Zopf geflochten. Ihre braunen Augen, die in der Regel treu und ehrlich wirkten, verdeckte sie mit ihrer neuen Sonnenbrille. Sie achtete stets darauf, gut und hip gekleidet zu sein, auch wenn Ben sie deswegen einmal als Modetussi beschimpft hatte. Mittlerweile hatten sich Ben und Rebecca versöhnt. Nur selten stritten sie noch miteinander. Rebecca ging mit Emilia, Alex und Ben in eine Klasse. Sie besuchten die sechste Klasse der Gesamtschule in Vellmar. Rebecca von Langengut war ein kesses und zugleich hilfsbereites Mädchen, das sich gerne mal durchsetzte und stets freiheraus sagte, was ihr gerade durch den Kopf ging.

 »Du darfst nicht danach schlagen.« Nele kicherte, als sie sah, wie ihre große Schwester nach der Wespe schlug. Die Insekten waren diesen Sommer aber auch wirklich lästig. Mürrisch blickte Rebecca ihre kleine Schwester an und lachte laut, als auch diese wenig später wild um sich schlug.

 Nele von Langengut war mit ihren zehn Jahren die Jüngste in der Raben-Bande, was sie aber nicht weiter störte. Sie besuchte die Grundschule am Jungfernkopf und war am Nachmittag immer mit ihren Detektiv-Freunden unterwegs. Nur selten traf sich das taffe Mädchen mit ihren Mitschülern. Sie fand es viel cooler, mit den Großen zu ermitteln und Ganoven zu überführen. Schließlich hatte sie eine wichtige Aufgabe in der Bande. Da sie die Kleinste war, konnte sie sich überall hineinschmuggeln, verstecken und noch in die winzigsten Löcher krabbeln.

 Heute früh hatte sie sich ihre langen, braunen Haare von Rebecca zu einem geflochtenen Dutt eindrehen lassen. Auf dem Kopf trug sie ein Bandana ihrer Lieblingsband Santiano, die Neles Meinung nach trotz ihres Alters herrlichen Shanty-Rock spielten. Sie war wissbegierig und unendlich neugierig, was nicht immer das Schlechteste war, hatte es ihr doch einen Platz in der Bande gesichert. Außerdem war Nele eine kleine Kämpferin. Oft stellte sie sich vor schwächere Mitschüler, um ihnen zu helfen. Der kleine Wirbelwind hinterfragte alles und trat immer und überall für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit ein.

 »Nicht danach schlagen. Hast du eben selbst gesagt«, tadelte Rebecca und lehnte sich schmunzelnd zurück. Nun mussten auch die anderen lachen und Ben packte eine Sprühflasche mit Wasser aus. Als guter Detektiv und Bandenchef war er immer bestens ausgerüstet. Schnell besprühte er die Wespe und diese flog sofort erschrocken davon. Hoffentlich kam sie nicht umso zorniger wieder.

 »Wow, das ist ja cool. Wo hast du das denn her?«

 Alex blickte seinen Freund fragend an. Sonst war er immer derjenige, der sich und anderen zu helfen wusste.

 »Tja, ich bin halt der Master der Natur.«

 Triumphierend und mit einem frechen Grinsen beobachtete Ben seine Freunde, die ihn wiederum mit verzogenen Mienen musterten.

 »Wer es glaubt, wird selig«, erwiderte Emilia und zwinkerte ihrem Freund zu. Emilia und Ben waren erst seit Kurzem zusammen und noch sehr schüchtern im Umgang miteinander.

 »Jetzt sag schon!« Alex beäugte seinen besten Freund, der ihn weiterhin bloß angrinste. Ben genoss sichtlich die Anerkennung und Neugier seiner Truppe.

 »Also gut, ich hab in einer Doku im Fernsehen gesehen, dass das helfen soll! Und da der Sommer so heiß und die Biester so lästig sind, hab ich es immer parat. Wir wollen ihnen ja nicht schaden, sondern sie nur vertreiben.« Ben blickte wie ein begossener Pudel nach unten, weil die Idee aus einer Doku kam, die er sonst eigentlich nicht schaute. Es wirkte für ihn uncool, aber seine Mutter hatte vor einigen Wochen nicht zum Fußball umschalten wollen, daher hatte er den Beitrag über die Wespen gesehen. Jetzt im Nachhinein war das gar nicht so schlimm, sondern recht nützlich gewesen.

 Plötzlich kitzelte Nele etwas am Bein und sie quietschte erschrocken los. Panisch und wie aus Reflex schlug sie sich auf den Schenkel – aus Angst, dass sich eine weitere Wespe heimlich auf ihr niedergelassen hatte. Blitzschnell wanderten ihre Augen nach unten, doch statt eines Insektes fand sie dort einen Flyer vor. Neugierig hob sie ihn auf und starrte mit großen Augen auf das Geschriebene. Auch die anderen Detektive wurden mit einem Mal mucksmäuschenstill und beugten sich in ihre Richtung.

 Was hatte sie da nur gefunden? Diese Frage beschäftigte die ganze Bande.

 »Hey, was hast du da?« Rebecca konnte ihre Neugier nicht länger zähmen und riss ihrer Schwester den Flyer aus der Hand. Was sie dann zu lesen bekam, konnte sie nicht glauben. Ihr Gesicht wurde ganz weiß.

 »Jetzt lies doch endlich vor!«, rief Ben. Alex riss Rebecca den Zettel aus der Hand und las an ihrer Stelle: »Achtung, vergiftete Hundeköder im Ahnepark gefunden – Die Polizei der Stadt Vellmar weist darauf hin, dass derzeit mit Gift versetzte Hundeköder im Ahnepark ausliegen. Bisher konnten die Täter noch nicht geschnappt werden. Bitte achten Sie auf Ihre Hunde. Sollten Sie etwas Auffälliges beobachten, wenden Sie sich umgehend an die Polizei!«

 »O Mann, wer tut denn so was Schreckliches? Die Polizei bittet um Mithilfe, dass die Bürger die Augen offen halten sollen«, erwiderte Emilia erschrocken und schlug sich die Hände vor den Mund.

 »Ich würde sagen, das ist ein klarer Fall für die Raben-Bande! Genug ausgeruht, weiter geht es!«, jubelte Ben.